Nehmen die Medien die Paralympics zu wenig ernst?
Niemals wird die Olympiade der Behindertensportler so sehr ein Publikumsmagnet werden, wie die der Nichtbehinderten. Das behaupte ich. Es ist aber richtig, dem Anlass gebührende Beachtung zu schenken und deshalb wird in den Medien auch rege darüber berichtet.
Auf twitter und facebook engagieren sich einige sehr für die Paralympischen Spiele. Wenn ARD oder ZDF, deren Ansicht nach, „endlich einmal“ sendet, wird getwittert, was das Zeugs hält. Jedoch nur selten ohne vorwurfsvolle Zusätze, wie: „Wo bleibt denn SF mit einer Liveschaltung“ oder: „Wie lächerlich, so wenige Stunden Sendezeit“. Zudem wird andauernd danach gefragt, warum sich die Printmedien dem Thema nicht viel mehr annehmen. Es sind aber durchs Band Nichtbehinderte, die sich beschweren. Ich habe mich in den letzten Wochen gezielt nach Artikeln zum Behindertensport umgesehen und habe viele interessante Berichte dazu gefunden. Vielleicht nicht auf der Frontseite, vielleicht nicht in den grossbuchstabigen Tageszeitungen, aber in anderen allemal.
Warum werde ich also hin und wieder den Eindruck nicht los, es handle sich bei einigen Kritikern nicht immer um ehrliches Interesse am Behindertensport, sondern eher um Effekthascherei? Einem behinderten Menschen ist viel mehr gedient, wenn Sie sich dafür einsetzen, dass die Leistungen der Invalidenversicherung nicht ständig noch mehr eingeschränkt oder Gebäude und Arbeitsplätze behindertengerechter werden, als dass Sie immerzu die fehlenden Beiträge der Medien zu den Paralympics kritisieren.
Tatsache ist, dass diese Paralympischen Spiele in England auf grosses Interesse stossen. Noch nie waren die einzelnen Sportanlässe so ausgebucht. Die behinderten Sportler können sich vor Ort der Aufmerksamkeit fast genauso gewiss sein, wie die nichtbehinderten Sportler einige Wochen zuvor.
Dass im TV nicht mehr Bilder davon gezeigt werden, hat schlichtweg damit zu tun, dass das Interesse der Zuschauer nicht gross genug ist. Seien wir mal ehrlich, die unglaublichen Spitzenleistungen nicht behinderter Sportler fesseln die meisten Menschen viel mehr, als die Superrekorde, die mit Rollstuhl gefahren, mit einem Arm geschwommen oder mit Prothesen gerannt werden. Weil die Einschaltquoten niemals an die der Olympischen Spiele herankommen würden, nur deshalb senden die TV-Stationen nicht rund um die Uhr. Andernfalls, ich bin mir sicher, wäre das Verhalten der Medien ganz anders.
Ich glaube, dass nichtbehinderte Menschen die Leistungen ihresgleichen halt einfach besser vergleichen können. Weil wir zwei Beine besitzen, ohne Rollstuhl unterwegs und nicht blind sind, können wir abschätzen, was ein Hundertmeterlauf in neun Sekunden bedeutet. Derselbe Vergleich mit einem behinderten Sportler ist uns fast unmöglich. Ich finde es viel respektloser, den Behindertensportlern Interesse vorzuheucheln, wo gar keines vorhanden ist.
Wer sich ernsthaft für die Paralympics interessiert, wird die entsprechenden Berichte darüber auch finden. Den Medien und Behindertenorganisationen sei Dank.
Kein Behinderter erträgt tapfer sein Schicksal und ist froh, wenn Sie ihm dies auch noch mitteilen. Es ist auch nicht Lebensfreude, die ihn durch sein „Schicksal“ trägt. Er ist Mensch, wie Sie und ich, mal gesund, mal krank, mal mit Sorgen, mal ohne. Und so sind die Paralympics eine Sportveranstaltung von Behinderten, nicht mehr und nicht weniger. Und wenn es Sie nicht interessiert, dann lassen sie es einfach bleiben. Kein Behinderter wird Ihnen das übel nehmen.
Und nein, die Medien nehmen, meiner Meinung nach, die Paralympics nicht zu wenig ernst. Sie schenken ihnen genau soviel Aufmerksamkeit, wie sie der durchschnittliche Leser, Zuschauer und Zuhörer haben möchte.
Die Gastautorin
@MonikaStulz ist laut Twitterprofil eine engagierte Familienmanagerin, die stets im Einsatz für herzkranke Kinder steht und als grosser Fan des FC Basel gilt. Aus Wörtern macht sie Sätze und aus Sätzen Texte. Aus purer Schreiblust hat sie für medienkritisch.ch den Umgang mit den Paralympics 2012 beurteilt.
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