Die kritische Rückblende auf den Songcontest

Nun, da der Eurovision Song Contest eine Weile vorbei ist, möchten wir einen Blick darauf zurück werfen, wie kritisch in den Schweizer Onlinemedien, aber auch in Deutschland über den berühmtesten Gesangswettbewerb Europas berichtet wurde. Doch fassen wir doch erst einmal zusammen, weshalb der Songcontest in diesem Jahr so dermassen für Aufsehen sorgte.

Alles begann am 14. Mai 2011, als Ell + Nikki mit dem Titel „Running Scared“ für Aserbaidschan überraschend den ehemaligen „Grand Prix Eurovision de la Chanson“ gewannen. Allerdings dürfte manch einen ESC-Kenner den Sieg nicht überrascht haben, belegte Aserbaidschan doch noch nie einen schlechteren Rang als Platz 8 im Finale. Schon seit 2008, als das Land aus dem Kaukasus zum ersten Mal am Wettbewerb teilnahm, waren die Bemühungen gross, den Titel ins eigene Land zu holen. So entstand 2010 beispielsweise der Song „Drip Drop“ in Zusammenarbeit mit niemand geringerem als dem weltberühmten Musikproduzenten Niklas Flyckt, der unter anderem mit einem Grammy Award ausgezeichnet wurde und Welthits für klingende Namen wie Rihanna oder auch Celine Dion schuf.

Vielen mag zu diesem Zeitpunkt wohl noch nicht bewusst gewesen sein, was ihn in einem Jahr in Aserbaidschan erwarten würde. In einem Land, in dem Menschenrechte regelrecht mit Füssen getreten werden. Schnell wurde somit auch klar, dass den Medienschaffenden in diesem Jahr eine ganz spezielle Rolle zuteil werden sollte: Ihre Aufgabe wird es sein, die Menschen zuhause über die Lage in Aserbaidschan aufzuklären.

Doch wie zu erwarten, gestaltete sich diese Aufgabe alles andere als leicht. An den Pressekonferenzen wurden kritische Fragen unterbunden, Aserbaidschan feierte sich als demokratische Nation. Den Besuchern des ESC zeigte sich ein vollkommen anderes Bild, als sie es erwarteten. Erst im Laufe des Wettbewerbs erkannte man endlich das wahre Bild Aserbaidschans, als wiederholt Regimekritiker nach friedlichen Kundgebungen festgenommen wurden.

Die Menschenrechtssituation in Aserbaidschan nahmen wir uns zum Anlass, um zu überprüfen, wie kritisch in den Onlineportalen über den Songcontest berichtet wurde.

Schweizer Onlineportale

blick.ch

Die Problematik Aserbaidschans scheint am „Blick“ vollkommen vorbei gegangen zu sein. Stattdessen stand viel mehr der Event im Vordergrund. Nein, abgesehen von einigen sda-Meldungen haben wir keinen im Ansatz kritischen Artikel gefunden. Selbst von Anke Engelke’s Punktevergabe war erst am Montag die Rede.

20min.ch

Das Bemühen von „20 Minuten“, kritisch über den Songcontest zu berichten, war durchaus ersichtlich. So erfuhren wir tatsächlich auch einige Dinge, die wir zuvor noch nicht wussten. Nur schade, dass die Berichte insgesamt doch etwas zu oberflächlich daherkommen.

„Schweiz hat Chance für Kritik verpasst“

„20 Minuten“ Online über die Punktevergabe Deutschlands und warum die Schweiz auf ähnliche politische Äusserungen verzichtete.

„Der ESC im Land von Wohlstand und Willkür“

Insgesamt sicherlich der lesenswerteste Artikel von „20 Minuten“ Online zur Situation in Aserbaidschan.

tageswoche.ch

Die „Tageswoche“ glänzte praktisch nur durch die Übernahme etlicher sda-Meldungen. Ein Artikel hat es dann doch noch in die Zeitung geschafft, der allerdings nicht ganz so kritisch wie erwartet ausfiel. Vielmehr wurde die Stadt Baku vorgestellt.

nzz.ch

Dem Onlineportal der „NZZ“ darf ein Kränzchen gewindet werden. Es sind zwar nur 2 kritische Artikel, die Daniel Wechlin verfasst hat, doch diese mögen restlos zu überzeugen. Beide Artikel sind sowohl äusserst kritisch als auch gut recherchiert.

Freiheit und Offenheit sind nur Kulisse in Aserbaidschan

Daniel Wechlin über die prekäre Menschenrechtslage in Aserbaidschan. Zudem liefert er Gründe, weshalb die demokratisierende Wirkung des ESC wohl überschätzt wird.

Wenig Freiräume für Aserbaidschans Schwule und Lesben

Daniel Wechlin musste in Baku feststellen, dass es für die Homosexuellen noch ein weiter Weg zur Gleichberechtigung ist.

tagesanzeiger.ch

Beim „Tagi“ war das Thema Eurovision Song Contest nur nebensächlich. Ein kurzer Blick auf die Website und wir erkennen schnell: Ein kritischer Artikel zwar, dieser bringt allerdings keine neuen Erkentnisse…

Deutsche Onlineportale

bild.de

Die Bild war es, die mit Abstand am ausführlichsten über den Songcontest berichtete. Auch wenn der Event hier ebenfalls im Vordergrund stand, so berichtete die Bild auch immer mal wieder kritisch.

„YouTube ist unser TV, Facebook unsere Strasse“

Ein Bericht über willkürliche Festnahmen in Baku. Der Artikel macht klar, dass bereits eine kleine, unerwünschte Bemerkung zur Verhaftung reichen kann.

spiegel.de

Auch beim „Spiegel“ wurde das Thema Songcontest sehr ausführlich bearbeitet. Vor allem ein Interview mit EBU-Chefin Deltenre und ein Bericht über die Lage der Homosexuellen in Aserbaidschan sind äusserst lesenswert.

„Ein Imageschaden? Glaube ich null“

Ingrid Deltenre im Interview mit Stefan Niggemeier über die Einstellung der EBU gegenüber der prekären Menschenrechtslage in Baku.

Bitte nicht stören

Annette Langer über den schweren Stand der Homosexuellen in Aserbaidschan. Ein ähnlicher Artikel wie von Daniel Wechlin, doch dieser hier vermag vergleichsweise noch etwas mehr zu überzeugen.

stern.de

Es war wohl der „stern“, welcher am kritischsten über Baku berichtete. Hier war die Menschenrechtslage und die nicht vorhandene Pressefreiheit ebenso Thema wie der Event selbst.

Für ein bisschen Frieden singen

Jens Maier, der öfters kritisch aus Baku berichtete, traf sich mit Mehman Huseynow, einem Teilnehmer der Aktivisten von „Sing for Democracy“.

Fazit

Betrachtet man die Berichterstattung im deutschsprachigen Raum, so haben die Journalisten ihre Arbeit gut getan. Gerade die Tatsache, dass sich Baku während des Songcontests als weltoffene Metropole zeigte, machte es alles andere als einfach, auch die Schattenseiten zu erkennen. Man musste schon selbst etwas unternehmen, um die kritische Lage in Baku zu erkennen, da es dem Veranstalter gelang, während des Events einen Eklat zu vermeiden und die Politik geschickt aus dem Spiel zu halten.

Müsste ich die Schweizer Onlineportale mit denen aus Deutschland vergleichen, würde ich den Deutschen allerdings doch eine etwas bessere Note verleihen. Dort wurde sowohl ausführlicher als auch kritischer über den Wettbewerb berichtet. Dass es ihnen ernst ist, etwas bewirken zu wollen, bewies nicht zuletzt Anke Engelke bei ihrer Punktevergabe. Da dies ein Teil des Events war, konnte sie besonders für Aufmerksamkeit sorgen.

Trotz alledem muss man leider die Erkenntnis aus dem Anlass ziehen, dass die eine Woche andauernde internationale Aufmerksamkeit wohl nichts bewirkt hat. Sobald die letzten Pressevertreter und Delegationen aus Baku abgereist sind, wird sich wieder das alte Bild zeigen. Das grosse Thema in den Medien wird bis dahin schon wieder ein anderes sein…

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