Den Medien ein Schnippchen geschlagen

Das Verhalten der FCZ-Fans am vergangenen Samstag in Aarau beweist ein weiteres Mal: Fussballfans lassen sich nicht einfach als prügelnde Chaoten abstempeln.

Nur wenige Debatten werden in den Medien hitziger geführt als jene über Fussballfans. Kommt es, wie am 12. April in Basel, wiedermal zu Ausschreitungen während oder nach eines Fussballspiels, rücken beinahe jegliche Themen in den Hintergrund. In den Kommentarspalten wird dann oft von „kriegsähnlichen Zuständen“ oder von der Abschaffung des Fussballs gesprochen, denn im Tennis habe man das Gewaltproblem schliesslich auch im Griff. Normalerweise sind die Journalisten empört, wenn in den Kommentaren über die Stränge geschlagen wird, doch in diesem Fall tragen einige von ihnen eine Mitschuld, wenn jegliches Mass verloren geht. Warum? Weil populistische Überschriften einfacher zu schreiben sind als sich tatsächlich mit den Leuten zu beschäftigen, die Wochenende für Wochenende mit ihrem Club mitreisen.

Die Vielfalt der Ultras

Die journalistische Fehlleistung beginnt meist schon bei einfachen Begriffen. So werden die Fans oftmals als Hooligans oder „sogenannte Fussballfans“ bezeichnet. Dabei sind heutzutage meistens Ultras dafür verantwortlich, wenn es bei einem Fussballspiel zu Ausschreitungen kommt. Die Bezeichnung „sogenannte Fans“ wird ihnen nicht gerecht, denn im Gegensatz zu den Hooligans steht bei allen Ultras, ob gewaltbereit oder nicht, der Fussball im Vordergrund.

Ultragruppierungen umfassen meist eine riesige Bandbreite an Menschen. Vom Schweizer Bünzli bis zum Secondo aus der Zürcher Langstrasse, vom Arbeitslosen bis zum Bankmanager, alle finden Platz in einer Ultragruppe. Deshalb ist es auch nicht möglich, dass ein einzelner von ihnen Stellung bezieht, wie dies Réda El Arbi auf dem Stadtblog des „Tages-Anzeiger“ schon seit geraumer Zeit fordert. Denn die Meinungen innerhalb der Gruppierung können stark auseinandergehen, werden aber von allen akzeptiert. Dies betrifft auch die Anwendung von Gewalt. Manche befürworten sie, andere lehnen sie ab. Doch eines haben sie alle gemeinsam und ist Voraussetzung, um ein Teil dieser Gruppe zu sein: Die bedingungslose Hingabe für ihren Club.

Quelle: Ostkurve Bern (ostkurve.be)

Warum es die Ultras braucht

In diesem Abschnitt möchte ich rasch darauf eingehen, warum es aus meiner Sicht die Ultras in den Schweizer Stadien braucht.

Man muss dazu vielleicht kurz erläutern, dass in den Fankurven sehr viele junge Leute stehen. Was von der Öffentlichkeit oft unbemerkt bleibt, ist die Tatsache, dass diese eine Vielzahl von Stunden gemeinsam verbringen, um Choreos oder andere Anlässe auf die Beine zu stellen. Für die jungen Menschen stellt dies eine Möglichkeit dar, ihrem stressigen Alltag, in dem sie immer grösseren Herausforderungen auseinandergesetzt sind, zu entfliehen. Probleme Zuhause, bei Arbeit oder Schule können so für ein paar Stunden vergessen werden. Das Entwerfen der Choreos sowie die Umsetzung fördert zudem den Zusammenhalt. Da die Ultras ein so breites Spektrum an Menschen beinhalten und akzeptieren, sind auch Leute dabei, die der Gewalt nicht abgeneigt sind. Es ist immer zu bedauern, wenn Menschen es nötig haben, Gewalt anzuwenden, doch würden solche Menschen aus dieser Gruppe ausgeschlossen, wäre ihr Frust noch grösser und sie würden der Bevölkerung womöglich noch mehr Sorgen bereiten. Denn es besteht dann die Gefahr, dass sie noch stärker in ihren Problemen versinken und nicht mehr entfliehen könnten.

Würde man Ultras nun also komplett aus den Stadien verbannen, so könnten Tausende ihre grösste Leidenschaft nicht mehr ausleben. Der Frust, oftmals auch auf den Staat oder die Gesellschaft, würde nun wohl lediglich an einem anderen Ort abgebaut werden. Denn obgleich sich dies viele wünschen: Es ist schlicht nicht möglich, gewisse Menschen einfach aus der Gesellschaft auszuschliessen. Daher ist es eine Aufgabe von uns allen, diese Menschen zu akzeptieren und versuchen zu integrieren. Zudem sind die Vorurteile oftmals schlimmer als die Realität.

„Gsuecht: Verhaftigsgründ. info@kapo.ag.ch“ Quelle: www.rotblau.media

Mein Fazit

Etliche Plakate, die Fussballfans an diesem Wochenende geschrieben haben, beweisen, dass Ultras nicht einfach nur prügelnde Chaoten sind. Es ist gar so, dass sich viele Journalisten von der Selbstkritik und Selbstironie, die unter Ultras herrscht, eine grosse Scheibe abschneiden könnten. Auch das intellektuelle Niveau ist nicht so tief, wie dies mancher behauptet: Wer sich mit den Publikationen von Ultragruppierungen auseinandersetzt, merkt, wie viele sinnvolle Gedanken sich diese Menschen machen.

Eigentlich kann ich an dieser Stelle nur wiederholen, was ich bereits im Mai 2013 nach dem Cupfinal geschrieben habe. Mein grosser Wunsch ist, dass sich Journalisten in ihrer Berichterstattung über Fussballfans stärker hinterfragen. Denn sie sind es, die mit ihrer (oftmals) einseitigen Berichterstattung dafür sorgen, dass immer populistischere und repressivere Massnahmen gefordert werden, die schlussendlich nicht zielführend sind und die Stimmung nur anheizen. So befriedigen sie lediglich die Wünsche des Wutbürgers, anstatt ihrer Rolle als kritische, hinterfragende Instanz gerecht zu werden.

Des Weiteren sollte uns bewusst sein, dass keine Massnahme, um das Gewaltproblem in Fussballstadien einzudämmen, die Gewalt aus unserer Gesellschaft verbannt. Nur wer Menschen, die es in ihrem Leben nicht leicht haben und daher möglicherweise eher zu Gewalt neigen, versucht zu integrieren und zu akzeptieren, kann verhindern, dass diese zu Gewalt greifen. Selbstverständlich kann uns das nicht immer gelingen, doch wenn wir alle tagtäglich etwas dafür unternehmen, so können wir doch viel bewirken.

Quelle Titelbild: lenzburger-nachrichten.ch

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