Das Skandal-Prinzip

Es ist immer das Gleiche. In einer grossen Sonntagszeitung wird eine Story pompös publiziert. Meistens ein Skandal oder ein Skandälchen, irgendeine politische Intrige oder eine zweifelhafte Affäre. Die Onlineportale beginnen sofort zu zitieren; wenn wir Glück haben, werden wir sogar am gleichen Morgen um halb acht mit einer Pushmeldung aus dem Bett gejagt. Nachdem jeder digitale Ableger die Fakten serviert hat, wird im Hintergrund eifrig recherchiert. Es wird versucht, ein erstes Statement der Betroffenen zu erhalten. Diese geben keine Auskunft oder streiten alles ab. Am Montag dann die gleiche Geschichte nochmals im Print – teilweise sogar mit neuen Informationen und „Hintergründen“. Erste Rücktrittsforderungen werden laut. Die Betroffenen geben nachwievor keine Auskunft. Mittlerweile merken sie, dass viele Unwahrheiten über sie kursieren. Oder schlichtweg Wahrheiten, die sie als nicht wahr haben wollen. Sie verschicken eine Medienmitteilung und dementieren. Eine weitere Pushmeldung erfolgt.

Im Verlauf der Woche flaut die ganze Geschichte etwas ab. Da alles schon erzählt wurde, kommen Experten, ehemalige Lebenspartner und Coiffeusen zu Wort. Sie analysieren und geben pikante Details bekannt. Im Fernsehen und Radio konzentriert man sich derzeit auf Diskussionssendungen, bevorzugterweise mit den Protagonisten höchstpersönlich. Zu diesem Zeitpunkt beginnt auch die Ausübung der Medienkritik. Das Hauptthema wird zur Nebensache.

Es wird wieder Sonntag. Die Leserschaft ist mittlerweile etwas müde von der Geschichte. Die Betroffenen sind nachwievor im Amt. Eine Sonntagszeitung (eine andere als die, die den Skandal veröffentlicht hat) präsentiert noch ihr Resultat einer einwöchigen, intensiven Recherche mit mehr oder weniger brisanten Informationen – oftmals ohne Zusammenhang zum Kern der Story. Das Resultat nach gut zwei Wochen Skandal: Die Welt ist wieder wie zuvor.

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